Relating the Unread - Netzwerkmodelle in der Literaturgeschichte

Ulrik Brandes & Thomas Weitin

In einem Mixed-Methods-Ansatz zur Literaturgeschichte modellieren wir Textbeziehungen als Netzwerke, um zu verstehen, wie sich Gruppen relativ zur Art und Weise der Korpuszusammenstellung herausbilden. Die computergestützte Analyse großer Datenmengen hängt nicht nur von den eingesetzten Methoden, sondern auch von der gewählten Datengrundlage und mithin von den Korpora ab, aus denen die Daten gewonnen werden. Korpora sind selten repräsentative Samples: Sie haben einen opportunistischen Charakter und werden nach bestimmten Forschungsfragen zusammengestellt. Ihre Komposition unterliegt einem meist impliziten Vorverständnis, das der Analyse von Textbeziehungen, der Statusposition von Texten im Verhältnis zu anderen und der für Gruppenbildung ausschlaggebenden Kategorisierung nicht äußerlich bleibt. In unserem Projekt werden wir Netzwerkmodelle von deutsch- und englischsprachigen Korpora von Romanen und Erzähltexten des 18. und 19. Jahrhunderts entwickeln, die stylometrische, semantische und aus Annotation generierte Daten als unterschiedliche Vergleichsebenen zusammenführen. Ziel ist es, die Entstehung von Gattungskonventionen, Subgattungen und Epochenstil innerhalb dieser literaturgeschichtlich entscheidenden Periode aus einem neuen Licht erscheinen zu lassen. Mit Blick auf die literarische Kommunikation der Zeit achten wir besonders auf diejenigen Texte und Autoren, die in der Literaturgeschichte marginalisiert worden sind, wobei das Augenmerk vor allem auf den Positionen liegt, die wir für Schriftstellerinnen im Verhältnis zum kanonischen Teil der Literaturgeschichte ausmachen können. Neben der Entwicklung von Modellen und Algorithmen setzen wir Korpusmanipulation als eine heuristische Methode zur Erforschung von Gruppierungsprozessen und zum kombinierten synchronen und diachronen Korpusvergleich ein. Die Beobachtung, wie sich Gruppen auf einer bestimmten Datenebene bilden und auf einer anderen auflösen oder wie sie je nach zeitlicher Zusammenstellung entstehen und vergehen, hilft uns zu verstehen, was Textbeziehungen in systematischer und historischer Perspektive ausmacht.

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