Literarischer Wandel. Deutschsprachige Lyrik zwischen Realismus und früher Moderne und ihre Beziehung zu literarischen, kulturellen und sozialen Entwicklungen

Simone Winko & Fotis Jannidis

Ziel des Projekts ist es, die Entwicklung der Lyrik vom Realismus zur frühen Moderne der Jahrhundertwende im Kontext der anderen literarischen Gattungen, der öffentlichen Diskurse und der sozial- und kulturhistorischen Entwicklungen zu modellieren und damit eine Überprüfung einschlägiger literarhistorischer Thesen und eine Integration dieser partiellen Thesen in ein integratives Modell zu ermöglichen. Es baut auf den Ergebnissen der ersten Projektphase auf, die lyrische Texte des Realismus und der frühen Moderne kontrastiv verglich. In dem neuen Projekt soll der literarische Wandel über die Zeit hinweg erfasst werden. Die Entwicklung zur frühen Moderne ist, so unsere Leitthese, mit einer Pluralisierung und Erweiterung der Positionen im literarischen Feld verbunden. Aufbauend auf den Befunden der literarhistorischen Forschung wird der Wandel anhand von drei Parametern sichtbar gemacht: den Genderrollen einschließlich der Beziehungsmodelle, der Technologie und den Auswirkungen von Darwin und Nietzsche als Vertreter einer wissenschaftlichen bzw. philosophischen Anthropologie. Untersucht werden soll dabei für jeden der Parameter, ob und inwiefern er sich auf Veränderungen der Inhalte, der Emotionen und des Stils der Texte auswirkt. Jeden der Parameter entlang dieser drei Textdimensionen in der Lyrik und den anderen Daten zu untersuchen, erfordert die Operationalisierung von neun Indikatoren für den Wandel zumeist durch die Anpassung und Anwendung von neuronalen Modellen. Ausgangspunkt für jede Dimension sind die in den CLS etablierten Methoden. Diese sollen mit Hinblick auf bestehende Defizite verbessert werden. Topic Modeling erzeugt zwar gute inhaltliche Repräsentationen für bspw. Zeitungsartikel, wendet man es auf literarische Texte an, verlieren Topics jedoch an Klarheit. Wir prüfen, ob dieser Befund auch für neuere Methoden jenseits von LDA gilt. Stilistischer Ähnlichkeit wird mit Delta gemessen. Der Versuch das Maß in ein neuronales Modell zu überführen, soll ermöglichen, auch kurze Texte vergleichen zu können und stilistische Features zu erkennen. Die Erkennung von Emotionen wird in eine aspect-based Komponente erweitert, so dass die mit Themen oder Entitäten verbundenen Emotionen gezielt extrahiert werden können. Dabei wird die Lyrik im Mittelpunkt der Untersuchung stehen, aber ihre Beziehungen zu anderen literarischen Gattungen und öffentlichen Diskursen untersucht werden, die zudem um Daten zu sozial- und kulturhistorischen Entwicklungen ergänzt werden. Einen Teil dieser Thesen in ein integratives Modell zusammenzuführen und auf der Basis der analysierten Korpora mit dem Fokus auf die genannten drei Parameter zu überprüfen, ist das übergreifende Ziel des Projekts. Damit geht es auch darum, einen ersten Versuch zu wagen, die isolierte Beobachtung literarischer Phänomene, aus der viele Arbeiten der CLS zur Zeit noch bestehen, als Basis für ein integriertes formales Modell literarhistorischen Wandels zu nehmen.

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